Welt im Umbruch und Aufstieg des europäischen Militarismus: Warum Frieden und Sozialismus jetzt wichtig sind
Auf dem Europäischen Forum 2025 in Wien hielt David Pestieau, Politischer Direktor der Partei der Arbeit Belgiens (PVDA-PTB), die folgende Rede während der Plenarsitzung "Austerität und Kriegswirtschaft: Unser Widerstand gegen die EU-Rüstungsinitiative. Den Krieg bekämpfen heißt, die Austerität bekämpfen."

Guten Tag, liebe Freunde, liebe Genossen,
Wir können nicht über Militarismus in Europa diskutieren, ohne anzuerkennen, dass sich die Grundfesten unserer Welt unter unseren Füßen zu verschieben scheinen. Wir leben in einer Zeit der konvergierenden Krisen: Das Wiederauftauchen von Donald Trump und seinen Kopien in Europa, die eskalierende Militarisierung in Europa und die Gefahr eines globalen Krieges.
Wie der Untertitel des Buches unseres Generalsekretärs, Peter Mertens, Meutereilautet: "Unsere Weltordnung gerät ins Wanken". Diese ins Wanken geratene Welt, insbesondere in Europa, erfordert unsere Analyse, unser Verständnis und vor allem unser Handeln.
Die sich wandelnde globale Ordnung und neue Kampfplätze
Die grundlegendste Veränderung ist die Verlagerung des globalen wirtschaftlichen Schwerpunkts. Diese Verlagerung geht eindeutig in Richtung Asien und insbesondere in Richtung China. China ist zum ersten Mal eine echte Herausforderung für die Vereinigten Staaten von Amerika. Das ist eine gewaltige Aufgabe, und die daraus resultierende Reibung bedeutet, dass die tektonischen Platten einander berühren und Erschütterungen verursachen, die größer sind als alles, was wir in den letzten drei Jahrzehnten erlebt haben.
Diese Wendepunkte sind nicht nur auf den Wettbewerb der Großmächte zurückzuführen, sondern hängen im Wesentlichen mit der rasanten technologischen Entwicklung zusammen. Wir befinden uns inmitten eines doppelten Übergangs: Einer in Richtung fossilfreie Produktion und ein anderer in Richtung künstliche Intelligenz. Dieser doppelte Wandel gestaltet die Industrie um, definiert die Lieferketten neu und verändert das Wesen der Arbeit.
Diese technologischen Veränderungen hängen von Schlüsseltechnologien wie Batterien und Halbleitern und den zu ihrer Herstellung benötigten kritischen Materialien ab. Diese Elemente schaffen neue Kampfplätze. Für den Westen zeichnet sich eine harte Realität ab: Europa und die USA sind bei diesen wichtigen Mineralien in hohem Maße von China abhängig, da bis zu 95 % der Importe aus chinesischen Quellen stammen.
Dieses Gerangel um Ressourcen hat überall Konsequenzen. Selbst der tragische Krieg in der Ukraine hat eine Ressourcendimension, da die USA im Gegenzug für ihre Unterstützung ein Rohstoffabkommen geschlossen haben. Selbst Grönland mit seinen bedeutenden Vorkommen an Lithium und seltenen Erdmetallen wird schnell zu einem geopolitischen Brennpunkt.
Diese Ansicht kommt in der Außenpolitik der Trump-Administration deutlich zum Ausdruck. Genossen, das ist Imperialismus und Neokolonialismus pur.
Und Imperialismus führt unweigerlich zu einer Epoche des Krieges, und diese Epoche ist schon jetzt angebrochen. Sie ist schon da in der Ukraine. Sie ist schon da im Kampf um die Kontrolle über Lithium in Lateinamerika und Kobalt in Afrika. Sie ist da in Palästina mit dem Völkermord. Sie ist da, wenn die USA illegal Schiffe vor der Küste Venezuelas bombardieren.
Die Kriegsgefahr ist also keine hypothetische Bedrohung, sondern bereits eine erdrückende Realität. Ja, wir stehen am Beginn einer neuen Phase des Krieges, und diese Phase wird von den USA angeführt.
Kanonen statt Butter: Europas Aufstellung und Militarisierung
Als Reaktion auf diesen beispiellosen Wandel hat sich die Europäische Union für Kriegswirtschaft und Anlehnung an die Vereinigten Staaten entschieden. Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, machte schon vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine deutlich, dass die EU ein wichtiger "geopolitischer Akteur" werden muss, und "lernen muss, die Sprache der Macht zu sprechen". Seit dem Krieg in der Ukraine ist die "Kriegswirtschaft" zum aktuellen Schlagwort der Europäischen Union geworden.
Die EU-Mitgliedstaaten geben heute 326 Milliarden Euro für Rüstungsgüter aus, das sind fast 2 % des europäischen BIP. Diese Ausgaben haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Europa rüstet also schon seit einem Jahrzehnt auf und wird in den kommenden Jahren noch viel, viel weiter aufrüsten.
Der deutsche Bundeskanzler Merz erklärte kürzlich, dass wir uns zwar noch nicht im Krieg befinden, aber auch "nicht mehr im Frieden". Die Politik drängt darauf, Deutschland wieder groß zu machen, zu militarisieren und "kriegsbereit" zu sein. Deutschland hat bereits die viertgrößten Verteidigungsausgaben der Welt.Die Europäische Union hat das 800-Milliarden-Euro-Paket zur Militarisierung der EU unter dem Titel "Bereitschaft 2030" vorangetrieben. Dieses Paket wird zum Teil durch Schulden und durch die Plünderung bestehender Sozial- und Klimafonds finanziert. Ihr ausdrückliches Ziel ist es, die EU politisch zu positionieren und militärische Interventionen außerhalb Europas zu ermöglichen.
Im Februar 2024 entsandte die EU Kriegsschiffe in den Nahen Osten. Erklärtes Ziel war es, die "freie Durchfahrt" im Roten Meer und im Golf von Aden zu sichern und die Handelswege zu schützen. Entscheidend ist, dass diese Mission nicht dazu diente, Druck auf Israel hinsichtlich des Völkermords in Gaza auszuüben. Darüber hinaus haben die EU-Militärmissionen in der Sahelzone - oft unter dem Deckmantel, "Stabilität" zu fördern - in Wirklichkeit zu mehr Instabilität geführt. Dies zeigt deutlich, dass die EU-Politik von Interessen an Rohstoffen, Handelswegen und Einflusssphären geleitet wird und sich nicht um Menschenrechte, Frieden oder die eigentliche Verteidigung unseres Territoriums kümmert.
Europas Sommer der Demütigung
Und dann kam der Sommer der Demütigung für Europa. Es war der Sommer, in dem sich die Europäische Union auf beschämende Weise direkt mit Donald Trump verbündete.
Erstens hatten wir Ende Juni den NATO-Gipfel in Den Haag. Dort setzte der US-Präsident die Trump-Norm durch: der Standard, dass alle NATO-Mitglieder 5% ihres BIP für das Militär aufwenden müssen. Soziale Fragen, der Klimanotstand: all das muss in den Hintergrund rücken. Der Auftrag ist klar: Bewaffnen, ausrüsten, Waffen kaufen - viele Waffen, und zwar schnell. Unser Kriegsminister Theo Francken erklärte sogar, er verstehe Trumps Forderung, denn "die Vereinigten Staaten müssen sich auf den indo-pazifischen Raum konzentrieren" (heisst: gegen China) und "wir müssen unseren Beitrag für die Ostflanke des NATO-Gebiets leisten" (heisst: gegen Russland).
Die Kosten für diese starke Militarisierung werden direkt von der Arbeiterklasse getragen. Wie NATO-Generalsekretär Mark Rutte den Mitgliedern des Europäischen Parlaments unverblümt mitteilte: "Mehr Ausgaben für die Verteidigung bedeuten in der Regel weniger Ausgaben für andere Prioritäten." Rutte weiß genau, wo er das Geld finden kann. Er wies darauf hin: "Im Durchschnitt geben die europäischen Länder leicht bis zu einem Viertel ihres Nationaleinkommens für Renten, Gesundheitsfürsorge und soziale Sicherheit aus. Wir brauchen nur einen kleinen Teil dieses Geldes, um die Verteidigung zu stärken."
Der NATO-Chef teilt den Parlamentariern ausdrücklich mit, dass Gelder, die für Renten, Gesundheitsfürsorge und soziale Sicherheit vorgesehen sind, stattdessen in den Krieg fließen sollen. Ein Wirtschaftswissenschaftler rechnete im belgischen Fernsehen vor, dass der von der 5 %-Norm geforderte Betrag etwa einer 20 %-igen Kürzung aller Renten entspricht. So ist die 5 %-Norm zu einer militaristischen Version der Maastricht-Norm geworden, zu einer Schlinge um den Hals der Arbeiterklasse.
Zweitens kam es Ende Juli zu der Einigung zwischen von der Leyen und Trump über die Zölle - oder besser gesagt, zur vollständigen Unterwerfung Europas unter die Vereinigten Staaten. Die Bedingungen sehen vor, dass das US-Kapital kostenlos in den gemeinsamen europäischen Markt exportieren darf. In der EU ansässige Unternehmen, die Zugang zum US-Binnenmarkt suchen, müssen aber 15 % Einfuhrsteuern zahlen. Zu allem Überfluss muss sich Europa verpflichten, amerikanische Waffen im Wert von Hunderten von Milliarden Dollar und teures und umweltschädliches amerikanisches Flüssiggas im Wert von ebenfalls Hunderten von Milliarden Dollar zu kaufen.
Und schließlich war da noch das niederschmetternde Foto von Ende August. Wir sahen die europäischen Staats- und Regierungschefs im Oval Office des Weißen Hauses versammelt, während Trump sie alle belehrte wie ein Vater, der seine Kinder zurechtweist. Klar, die europäischen Staats- und Regierungschefs laufen Trump hinterher, und das ist eine sehr schlechte Sache.
Entlarvung des militärischen Keynesianismus
Aber, so argumentieren unsere Politiker, wird diese Militarisierung nicht dazu beitragen, unsere Wirtschaft wieder anzukurbeln?
Das Argument, dass höhere Militärausgaben die Wirtschaft ankurbeln, ist ein "Evergreen" der Rüstungsindustrie, die versucht, es als "militärischen Keynesianismus" zu stempeln. Sie wollen unbedingt, dass Regierungen die Rüstungsindustrie massiv unterstützen. Angesichts der Schwierigkeiten des europäischen Automobilsektors und der Tatsache, dass Deutschland das dritte Jahr in Folge unter einer Rezession leidet, schlagen sie vor, die Produktion von Autos auf Panzer umzustellen.
Das ist absoluter Blödsinn, denn Familien kaufen keine Panzer. Wenn man Waffen und Panzer herstellt, erzeugt man zwangsläufig den Druck, dafür zu sorgen, dass sie eingesetzt werden; andernfalls geht die Industrie den Bach runter. Die Militarisierung der Wirtschaft erzeugt also einen permanenten Kriegsdruck. Dieser Krieg ist nicht dazu gedacht, gewonnen zu werden, sondern er soll andauern, gerade weil der Frieden die Gewinnspannen dieser Industrie bedroht. Der einzige Weg, diesen stabilen Zustand zu erreichen, ist ein Zustand des permanenten Krieges, wie ihn Washington derzeit mit seinen weltweiten Stützpunkten und endlosen Interventionen anstrebt. Oder Israel.
Höhere Militärausgaben werden den Lebensstandard nicht erhöhen. Die Herstellung eines Panzers, einer Bombe oder eines Raketensystems bringt keinen messbaren Nutzen für die übrige Wirtschaft. Der Mythos, dass die Rüstungsindustrie viele Arbeitsplätze schafft, ist nachweislich falsch: Ein einziger Euro, der in Krankenhäuser investiert wird, schafft 2,5 Mal mehr Arbeitsplätze als ein Euro, der in Waffen investiert wird. Die Milliarden, die an die Waffenhersteller fließen, fließen nicht an die Gesellschaft zurück, sondern direkt an die Hersteller selbst.
Möglichkeiten der Mobilisierung: Sozialismus statt Krieg
Die Welt wird von diesem "wahnsinnigen" Wettrüsten erdrückt. Diese Spirale könnte leicht in einem großen Krieg mit zahllosen Verlierern und sehr wenigen Gewinnern enden. Die Geschichte lehrt uns, dass diese gefährliche Situation nur durch gegenseitige Abrüstungsverträge, nüchterne Diplomatie und vor allem durch eine starke internationale Antikriegsbewegung, die Druck von unten ausübt, überwunden werden kann.
Wie Bertolt Brecht weise schrieb: "Wenn wir zum Krieg rüsten, werden wir Krieg haben." Die Realität ist einfach: Wer wirklich Frieden will, muss sich auf Frieden vorbereiten, nicht auf Krieg. Milliarden für Kriege auszugeben, während Menschen nicht einmal ihre Grundbedürfnisse decken können, ist eine verkehrte Welt. Wir brauchen keine NATO, wir brauchen Frieden.
In der Arbeiterklasse wächst der Zorn, die Wut, sowohl hier in Europa als auch in den Vereinigten Staaten. Die Menschen fühlen sich nicht gehört, nicht gesehen und nicht vertreten, und sie haben vollkommen Recht, sich so zu fühlen. Diese Energie muss in eine positive Vision für den Wandel kanalisiert werden.Angesichts dieser immensen Herausforderungen mag Verzweiflung eine Versuchung sein, aber sie ist im Grunde keine Option. Einige Teile der Linken sind darauf spezialisiert, Depressionen zu erzeugen. Sie veranstalten Treffen, bei denen man, wenn man nicht deprimiert hineingegangen ist, sicherlich deprimiert wieder herauskommt. Aber das ist keine Emanzipation. Emanzipation bedeutet, dass sich die Arbeiterklasse wieder stark fühlt.
Es ist also wirklich unsere dringende Aufgabe, die Menschen zu mobilisieren. Und ja, es werden schwierige Zeiten sein. Aber Frieden erreicht man nicht, indem man sich dem Dogma von Aufrüstung und Militärfetischen von heute hingibt. Frieden wird durch den Aufbau einer neuen Machtdynamik erreicht. Die Geschichte lehrt uns, dass Kriege und Aufrüstung nicht von oben, sondern von unten gestoppt werden - von denen, die die Rechnung für die Waffen bezahlen und die als erste unter dem Krieg leiden würden, indem ihre Kinder auf das Schlachtfeld geschickt werden.
Es gibt ein großes Potenzial, wenn die Arbeiterbewegung und die Friedensbewegung sich die Hände reichen und sich gegenseitig stärken.
Wir sehen bereits die Anfänge dieser Bewegungen: An der Front der Mobilisierung gegen die Sparmaßnahmen, die im Namen der zunehmenden Militarisierung auferlegt werden, haben wir bereits große Bewegungen erlebt. Dazu gehören Aktionen und Streiks in Frankreich im September und in Belgien, wo 140.000 Menschen am 14. Oktober in den Straßen von Brüssel demonstrierten und wo jetzt ein beispielloser dreitägiger Generalstreik für den 24. bis 26. November vorbereitet wird.
An der Front der Mobilisierung gegen den Krieg haben wir die enorme Bewegung gegen den Völkermord in Palästina: 250.000 Menschen in Amsterdam, 110.000 in Brüssel am 7. September (und bald wieder am 16. November), 100.000 in Berlin, und in Italien gab es sogar zum ersten Mal einen Generalstreik in Solidarität mit Palästina.
Unsere Aufgabe ist es, diese beiden Bewegungen zu vereinen, sie zu entwickeln und zu vertiefen.Genauso wichtig, liebe Genossen, ist es, als Partei der Linken das Vertrauen zu haben, dass die Zukunft uns gehört. Die Zukunft kann nichts anderes sein als eine neue sozialistische Gesellschaft, eine neue gleichberechtigte Gesellschaft, eine neue ökologische und demokratische Gesellschaft. Das ist das einzig mögliche emanzipatorische Projekt.
Dies erfordert Zeit, Mühe, Disziplin und die Kunst der Strategie und Taktik. Aber es ist möglich, wenn wir geduldig sind, wenn wir innerhalb unserer Bewegungen Vertrauen aufbauen, wenn wir in Bildung und Einheit investieren und wenn wir es wagen, aus der Kraft unserer Überzeugungen heraus zu sprechen.
Dieses System, in dem mächtige Monopole sich mit Gier und Vorherrschaft durch Eroberung, Kriege und eine Ökonomie der Zerstörung durchsetzen, kann keine Zukunft für die Menschheit und den Planeten bieten. Wie Rosa Luxemburg uns warnte: Es ist "Sozialismus oder Barbarei".
Vielen Dank, liebe Genossen.