Marc Botenga: "Israel nutzt den Völkermord in Gaza, um die Kontrolle über ganz Palästina zu erlangen"

Interview
Author
Jonathan Lefèvre
PTB

Am 28. Unter ihnen waren Anwälte, Barcelonas ehemalige BürgerOktober traf eine internationale Delegation für eine einwöchige Beobachtungsmission in den besetzten palästinensischen Gebieten ein.meisterin Ada Colau, Jaume Asens, ein ehemaliger spanischer Abgeordneter, der inzwischen Mitglied des Europäischen Parlaments ist, und Marc Botenga, sein PVDA-PTB-Kollege im Plenarsaal. Solidaire traf ihn zu seinem zwangsläufig schweren und harten Augenzeugenbericht über diese Tage, die er in der Nähe des Beschusses durch die israelische Armee verbracht hat.

Warum sind Sie nach Palästina gegangen?

Marc Botenga: Viele Bilder kursieren in den Netzwerken, aber eigentlich ist man sich der Realität nicht so recht bewusst. Ich wollte mir das vor Ort ansehen. Israel gibt nicht die Erlaubnis, nach Gaza zu gehen, sondern verbirgt auch, was es im Westjordanland tut. Ich habe nicht gezögert, als mir angeboten wurde, Teil dieser Delegation zu sein. Ich hatte Amateurvideos gesehen, die zeigten, wie ganze Dörfer von Siedlern niedergebrannt wurden, dass es Angriffe auf Flüchtlingslager in dieser Region gab. Also sagte ich mir: "Dort geht auch etwas vor sich, lass uns nachsehen".


 

War dies Ihre erste Reise nach Palästina?

Marc Botenga: Nein, ich war schon ein paar Mal dort. Zuletzt im vergangenen Jahr. Ich konnte die Unterschiede von einem Jahr sehen...

Das erste, was im besetzten Gebiet auffällt, ist, dass es viele neue israelische Autobahnen gibt. Palästinensern ist es nicht erlaubt, dort zu fahren. Dieses Gebiet wird seit 1967 illegal von Israel besetzt. Diese Autobahnen, diese Infrastruktur werden mit dem Ziel genutzt, das Land der Palästinenser zu stehlen und es Israel anzugliedern. Die israelischen Behörden haben den Siedlern Waffen geliefert, um ein Klima des Terrors zu schaffen. Man sieht, wie diese Siedler nachts in Autos ohne Nummernschild von palästinensischem Dorf zu palästinensischem Dorf fahren, um Autos anzuzünden, Palästinenser einzuschüchtern oder sogar zu töten. Die Siedler terrorisieren die unbewaffnete Bevölkerung. Außerdem unterstützt die israelische Armee die Siedler. Wenn wir in ein Dorf kamen, sahen wir verängstigte Kinder, die sich fragten, ob es wieder israelische Siedler wären, die sich dort niederlassen.


 

Was waren die ursprünglichen Ziele der Mission?

Marc Botenga: Eine Reihe von Dingen zu dokumentieren und konkrete Solidarität vor Ort zu leisten. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat die israelische Besatzung für illegal erklärt. Die israelischen Siedler sollten innerhalb von zwölf Monaten abziehen. Wir wollten wissen, ob diese Entscheidung auch respektiert wird. Und nein, ganz und gar nicht. Sie tun das Gegenteil.


 


 

Facing israeli tear gas
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Was hat Sie beeindruckt?

Marc Botenga: Überall, wo man hinkommt, sieht man die Militärbesatzung. Es gibt überall Checkpoints, also Punkte, an denen man sich meldet und an denen die israelische Armee willkürlich entscheidet, wer passieren darf und wer nicht, und die jederzeit geschlossen werden können. Es passierte uns, als wir Nablus in Richtung Ramallah verlassen mussten. Der Checkpoint war geschlossen, also waren wir in der Stadt eingeschlossen. Dann war auch der, um nach Ramallah zurückzukehren, geschlossen. Es gab keinen Grund, keine Rechtfertigung.

Ein anderes bemerkenswertes Erlebnis war, als wir die Bauern auf ihre Felder begleiteten, denn es ist die Saison der Olivenernte: Die israelische Armee will nicht, dass die Palästinenser Zugang zu den Wasserquellen oder auch nur zu ihren eigenen Olivenbäumen haben. Sobald wir aus dem Auto stiegen, warfen die Siedler Leuchtraketen und Tränengasgranaten auf uns, um zu verhindern, dass wir mit den Bauern zu den Feldern kamen. Da sie alle bewaffnet sind, hätten sie sogar auf uns schießen können, was sie woanders auch tun... . Wir haben auch Gebiete gesehen, in denen die Siedler die palästinensische Bevölkerung vertrieben haben und sich damit brüsten, "arabisch befreite" Gebiete geschaffen zu haben.


 

Welche Aussagen sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Marc Botenga: Es gibt natürlich viele... Eine starke Aussage war die von Fakhri, der in Ost-Jerusalem lebt. Er wurde 1964 in seinem Haus geboren. Also drei Jahre, bevor Israel ankam und diesen Teil Palästinas besetzte. Die israelischen Behörden haben sein Haus als "illegal" erklärt. Im Februar fuhren Bulldozer der israelischen Armee vor seinem Geburtshaus auf, das seit Jahrzehnten das Zuhause seiner Familie ist. Sie sprengten die Eingangsmauern, um ihn und seine Familie einzuschüchtern. Warum? Weil sie die Palästinenser vertreiben wollen, um die Wohnhäuser abzureißen und einen kleinen Park anzulegen. Da findet eine ethnische Säuberung statt. Fakhri erzählte mir, dass es nicht "nur" sein Haus war, sondern seine ganze Geschichte, seine Erinnerungen und die seiner Familie seit Generationen, die die israelischen Behörden auslöschen wollen... Er blieb dort und sagte, "das ist mein Land und ich werde nicht gehen", er hat eine kleine Hütte daneben gebaut. Einige Tage nach unserem Besuch kamen die Israelis zurück und zerstörten, was noch übrig war.


 

Haben die Israelis das Recht, sich das Land der Palästinenser zu holen?

Marc Botenga: Nein, all dies geschieht in völliger Illegalität. Sie geben sich selbst das Recht dazu, aber aus Sicht des internationalen Völkerrechts haben sie kein Recht, dies zu tun.

Alles, was ich gerade beschrieben habe, ist vollkommen illegal. Obwohl alles völlig offen und für alle sichtbar geschieht.


 

Was haben Sie durch diese Mission gelernt?

Marc Botenga: Dass Israel eine totale ethnische Säuberung durchführt, und zwar immer schneller. Dazu gehören der Völkermord in Gaza, aber auch die Annexion von Land im Westjordanland und die Zerstörung palästinensischer Viertel in Jerusalem. Und dann sieht man die Wirklichkeit hinter dem, was sie als "ihr Recht auf Selbstverteidigung" bezeichnen. Was sie verteidigen, ist vor allem ihr "Recht", das Land der Anderen zu stehlen. Sie vertreiben Familien aus ihren Häusern, lassen sich dort nieder und wenn die Familie Widerstand leistet, töten sie sie.

Schließlich hat mir diese Reise auch gezeigt, dass die Europäische Union ein fürchterliches Bild abgibt. Die Leute dort vertrauen ihr nicht mehr, sie sagen: "Europa erzählt uns von Menschenrechten, von internationalem Recht... Aber hier gibt es das alles nicht. Unsere Kinder können auf der Straße von einem Israeli getötet werden, die können Tausende töten, und es wird keine europäischen Sanktionen geben, nichts wird passieren."


 

Fühlten Sie sich selbst in Gefahr?

Marc Botenga: Unser "Status" als Mitglieder einer internationalen Delegation schützt uns nicht. Die israelische Armee schickt völlig indoktrinierte Kinder, 18-jährige Soldaten, denen eingetrichtert wurde, dass alle Araber Terroristen sind, dass jeder mit einer palästinensischen Flagge ein Terrorist ist, und dass sie sich alle verpissen sollen oder sterben müssen. Diese Soldaten wissen, dass sie tun können, was sie wollen, völlig ungestraft. Einige Wochen vor unserer Ankunft wurde Aysenur Ezgi Eygi, eine junge amerikanische Aktivistin, bei dem Versuch, palästinensische Bauern zu schützen, getötet.

Etwas, das mich erstaunt hat, war, dass die meisten israelischen Soldaten, die wir getroffen haben, perfekt eine Fremdsprache sprechen. Wir trafen eine junge Soldatin, die sich in perfektem Französisch an uns wandte. Sie war in Frankreich aufgewachsen, kam aber jetzt, um die Palästinenser daran zu hindern, ihre eigenen Oliven zu pflücken.


 

In einem Video sieht man Sie (Marc Botenga) unter einem Netz laufen, das die Palästinenser vor dem Müll der Siedler schützen soll...

Marc Botenga: Sowohl in Jerusalem als auch in anderen Städten stehlen Siedler die Häuser und Wohnungen von Palästinensern. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, dies zu tun. Offenkundig mit Gewalt, aber auch mit anderen Mitteln. In Hebron zum Beispiel besetzen sie Wohnungen im Obergeschoss von palästinensischen Geschäften und versuchen, diese zu sabotieren, indem sie Steine, Müll und Exkremente auf die Geschäfte darunter werfen. Die Palästinenser versuchen, sich mit Netzen zu schützen. Wenn man unter so einem Schutz spazieren geht, spürt man die ganze Demütigung, die den Palästinensern täglich auferlegt wird.


 

War diese Mission nicht zu schwer auszuhalten?

Marc Botenga: Es war nötig. Wenn man sieht, wie die Palästinenser das jeden Tag auf beeindruckende Weise bewältigen, um sich und ihr Land, ihre Olivenbäume, ihre Häuser, ihre Geschichte zu verteidigen... Sie (die Palästinenser) lassen nicht locker, das gibt einen unglaublichen Schub.


 

Ihre (M. Botengas) Stellungnahmen im Europäischen Parlament zur Palästinafrage werden massiv in sozialen Netzwerken geteilt, aber Ihr Engagement ist nicht erst seit gestern bekannt. Woher kommt das?

Marc Botenga: Für mich war es immer normal, für die Palästinenser einzutreten. Es gibt viele Ungerechtigkeiten in der Welt. Viel. Aber hier ist das Besondere, dass dies ohne die europäische Unterstützung nicht geschehen würde. Die Europäische Union, unsere Regierungen sind nicht untätig. Sie bieten Israel Privilegien auf Handelsebene und sogar öffentliche europäische Gelder für Israel. Der Gedanke, dass unsere Regierungen einen Völkermord direkt unterstützen, ist unerträglich. Wir müssen an der Seite der Palästinenser kämpfen, denn sie haben wie alle Völker das Recht auf Selbstbestimmung. Es ist eine der letzten Kolonien der Welt.


 

Was können Sie als Mitglied des Europäischen Parlaments tun?

Marc Botenga: Auf der Ebene des Europäischen Parlaments wird das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Wenn man die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula Von der Leyen machen ließe, würde niemand darüber reden. Sie will die Mitschuld der Europäischen Union an den israelischen Verbrechen vergessen machen.

Also entlarven wir das, indem wir zeigen, wie sehr die Europäische Union mitschuldig ist. Wenn man von einem privilegierten Partnerschaftsabkommen mit Israel spricht, sie nicht alle Zollgebühren zahlen lässt, ihnen Waffen schickt... kann man das von der Tribüne des Parlaments aus erklären.

Glücklicherweise sind wir zusammen mit der PVDA-PTB nicht die Einzigen, die das anprangern. Abgeordnete der authentischen Linken wie die Spanierin Irene Montero oder die Französin Rima Hassan ergreifen mutig das Wort. Ziel ist natürlich, für die Solidarität mit Palästina in ganz Europa stärker zu mobilisieren. Denn das macht den Unterschied aus, die Mobilisierung der Bevölkerung. Man sieht außerdem, dass die Länder, in denen es den größten Druck durch die Menschen gibt, auch diejenigen sind, die zu Palästina bessere Positionen eingenommen haben.


 

Sie sprachen von einer privilegierten Partnerschaft. Das stammt aus der Zeit vor dem 7. Oktober...

Marc Botenga: Es stammt aus den 1990er Jahren. Artikel 2 besagt, dass die Menschenrechte geachtet werden müssen. Heute sollte sich niemand mehr trauen, zu sagen, dass Israel die Menschenrechte achte. Es hat immer eine Komplizenschaft mit der Kolonialisierung gegeben. Nun, da der Internationale Gerichtshof gesagt hat, dass das rechtswidrig ist, sollte man sie aufgeben.


 

Wenn man von ihren (Israels) Befürwortern hört, dass sie die "moralischste Armee der Welt" sei, wie reagieren Sie dann?

Marc Botenga: Das ist Quatsch. Alle internationalen humanitären Organisationen, die Vereinten Nationen usw. sprechen von Völkermord. Europäische Ärzte haben dokumentiert, wie Israel absichtlich auf Kinder zielt, sogar mit Drohnen.

Zu Beginn des Gaza-Krieges gab es eine Debatte darüber, "ob Israel ein Krankenhaus getroffen hat oder nicht?" Seitdem hat Israel alle Krankenhäuser in Gaza ins Visier genommen, Kinder, Ärzte, Journalisten... Erinnern Sie sich an Shireen Abu Akleh, eine Journalistin von Al Jazeera, die vor zweieinhalb Jahren von der israelischen Armee getötet wurde, weil sie ihren Job machte....

Man muss sich nur ansehen, wie die "moralischste Armee der Welt" aussieht, wenn man die israelischen Soldaten sieht, die sich dabei filmen, wie sie Dörfer niederbrennen und ausradieren... Es gibt nichts "Moralisches" bei ihnen. Es handelt sich um eine Armee, die Staatsterrorismus betreibt.


 

Wird sich durch Trumps Wiederwahl etwas am Krieg ändern?

² Ich erwarte nichts Gutes. Trump hat bereits extrem pro-israelische Minister und Botschafter ernannt, die die Existenz der Besatzung selbst leugnen. Die Unterstützung der USA für Israel ist konstant. Der derzeitige Präsident Joe Biden hatte Netanjahu bereits so viel gegeben. Seit dem Zweiten Weltkrieg schützen die Amerikaner Israel, weil Israel ihre Interessen schützt, verschiedene Länder in der Region bombardiert, destabilisiert, wann immer die USA Bedarf daran haben... Israel wird manchmal zynisch als der 51. Staat der Vereinigten Staaten bezeichnet.


 

Man sieht viele Aktionen für den Frieden, z. B. zahlreiche Studenten, die überall in den USA und anderswo aktiv werden, oder Hafenarbeiter, die sich weigern, Waffen nach Israel zu transportieren. Was löst das bei Ihnen (Marc Botenga) aus?

Marc Botenga: Wenn Arbeiter sagen, dass in Israel keine Waffen mehr ankommen, ändert das natürlich die Lage. Wenn die Studierenden sagen "Unsere Universität darf nicht mehr im Rahmen von Horizon mit Israel zusammenarbeiten", ändert das die Lage.

Und ich habe in Palästina gesehen, dass die Menschen zwar wütend auf die europäischen Regierungen sind, dass sie sich aber über diese Solidaritätsaktionen, die Massenmobilisierungen in Europa freuen. Sie spüren, dass sie nicht allein sind. Das ist hyperwichtig.


 

Was sind die Vorschläge der PVDA-PTB, um den andauernden Völkermord in Gaza und generell die israelische Besatzung zu beenden?

Marc Botenga: Das erste ist, dass es sich nicht mehr "nur" um eine politische Frage handelt, sondern auch um eine rechtliche und zivilisatorische Frage. Ein internationales Gericht hat gesagt, dass die Gefahr eines Völkermords besteht, also muss man aufhören, Waffen zu liefern.

Zweitens kann man Israel nicht mehr als einen normalen Staat betrachten. Es ist ein Staat, der wegen der Besetzung Palästinas verurteilt und des Völkermords, der ethnischen Säuberung mit terroristischen Praktiken, beschuldigt wird. Wir können nicht akzeptieren, dass dies zur Norm wird.

Und schließlich: Lassen Sie uns an die Stärke des palästinensischen Volkes glauben und es unterstützen. Manchmal denkt man, dass Israel allmächtig ist. Das ist nicht wahr. Schauen Sie sich Südafrika an. Durch den Kampf wurde die Apartheid zerstört. Dasselbe gilt für die Bewegung gegen den Krieg in Vietnam. Und hier sehen wir das Gleiche in Europa. All diese jungen Menschen, die sich mobilisieren, ergeben eine "Palästina"-Generation, die die Lage verändern wird. Die Algerier haben 130 Jahre lang gegen die französische Kolonialherrschaft gekämpft. Am Ende mussten 1 Million französische Siedler Algerien verlassen.

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