Wir müssen den Covid-Impfstoff aus den Händen der multinationalen Konzerne befreien
Im April machte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula Von der Leyen, ein unerwartetes, aber entscheidendes Versprechen: der zukünftige Impfstoff gegen Covid-19 sei ein universelles Gut. Seitdem ist sie nur noch zurückgerudert. Eine schlimme Nachricht für alle.
Ein zukünftiger Impfstoff könnte eine zentrale Rolle bei der Ausrottung von Covid-19 spielen. Um diese Rolle zu erfüllen, muss er nicht nur effizient und zuverlässig, sondern auch weltweit verfügbar und zugänglich sein. Denn einerseits ist niemand sicher, solange nicht alle geschützt sind. Und andererseits hat jeder das Recht, geschützt zu werden.
Die Vorteile eines Gemeinguts
Sobald ein zuverlässiger und wirksamer Impfstoff entwickelt ist, werden weltweit, auch in Europa, riesige Mengen benötigt. Allerdings verfügt heute kein Pharmaunternehmen über ausreichende Produktionskapazitäten, um einen Impfstoff für jedermann zu liefern. Deshalb ist es wichtig, dass die Rechte an einem wirksamen Impfstoff aufgeteilt werden und dass sie nicht das Monopol eines oder einiger weniger Pharmaunternehmen sind. Andernfalls wird zwangsläufig ein Mangel an Impfstoffen auftreten.
Aus diesem Grund stand Pfizer nach vielversprechenden Berichten über die Wirksamkeit eines Impfstoffs unter Druck, seine Impfstofftechnologie weiterzugeben. Zumal BioNTech, Pfizers deutscher Partner, einen öffentlichen Zuschuss von 375 Millionen Euro erhielt. Doch Pfizer verweigerte sich. Obwohl der Pharmakonzern Moderna, dessen Impfstoff fast ausschließlich mit Steuergeldern entwickelt wurde, sich öffentlich versprochen hat, seine geistigen Eigentumsrechte während der Pandemie nicht durchzusetzen, bleibt der genaue Umfang dieser Zusage unklar.
Den Impfstoff zu einem öffentlichen Gut zu machen, hat noch weitere Vorteile. Es erspart uns, drei- oder viermal für einen Impfstoff bezahlen zu müssen. Tatsächlich wurden viele der potentiellen Impfstoffe, die heute im Rennen sind, mit Millionen von Euro an öffentlichen Geldern entwickelt. Mit anderen Worten: Mit öffentlichen Geldern werden derzeit nicht nur Forschung und Entwicklung, sondern auch die Erweiterung der Produktionskapazität und schließlich der Kaufpreis finanziert.
Darüber hinaus verpflichtet die Europäische Kommission die Mitgliedstaaten, einen Teil der finanziellen Verpflichtungen für künftige mögliche unerwünschte Nebenwirkungen zu übernehmen. Die europäische Strategie für Impfstoffe verlagert somit das finanzielle Risiko von den Privaten auf die Öffentliche Hand, d.h. ein großer Teil des Investitionsrisikos wird von den Privaten auf die Öffentliche Hand übertragen. Die Frage ist also, warum sollten Eigentumsrechte privat sein, wenn es die Öffentlichkeit ist, die das Risiko trägt?
Dem Privatsektor die Eigentumsrechte zu überlassen, würde auch bedeuten, dass das Unternehmen allein über den Preis für den Impfstoff entscheiden könnte. AstraZeneca hat sich verpflichtet, seinen Impfstoff zu einem Preis zu verkaufen, der annähernd den Kosten entspricht. Das Unternehmen fügte jedoch umgehend hinzu, dass dieses Versprechen nur bis zum nächsten Sommer gelten würde.
Auf diese Weise wird den multinationalen Pharmakonzernen ermöglicht, die Sozialversicherungs- und Staatshaushalte (in beiden Fällen auf Kosten der Steuerzahler) geradezu zu überlasten. Wichtiger noch: Es besteht die Gefahr, dass die Rechnung für einige Länder völlig unerschwinglich wird. Die Kämpfe um eine wirksame Bekämpfung des AIDS-Virus haben uns gezeigt, was es bedeutet, wenn geistige Eigentumsrechte und das Streben nach Profit den Vorrang vor der Gesundheit haben. Millionen von Menschen starben, weil die multinationalen Pharmakonzerne eine für alle erschwingliche Behandlung blockierten, bis Nelson Mandela in Südafrika beschloss, die Patente außer Kraft zu setzen.
Öffentliches Gut, öffentliche Kontrolle
Inmitten einer Pandemie wirken geistige Eigentumsrechte daher wie eine Bremse für den schnellen und breiten Zugang zu einem Impfstoff. Andererseits würde ein Impfstoff, der ein öffentliches Gut wäre, frei von Patenten, nicht nur bedeuten, dass viele Firmen auf der ganzen Welt ihn produzieren könnten, sondern auch, dass der Preis unter Kontrolle bliebe.
Dies war auch die Philosophie des US-Amerikaners Jonas Salk, der für den Polio-Impfstoff verantwortlich war. Er hatte darauf bestanden, dass sein Impfstoff ohne Patent auf den Markt gebracht wird, damit jeder Zugang zu ihm hat. Schauen wir uns Salks berühmtem Satz an: "Kann man die Sonne patentieren?" Nein, denn jeder Mensch braucht Sonnenlicht. Genau so eine Geisteshaltung brauchen wir heute.
Den Impfstoff aus den Händen der multinationalen Pharmakonzerne zu befreien hätte noch einen weiteren Vorteil. Viele Bürger, aber auch Ärzte, haben Fragen zum Impfstoff. Und hier sprechen wir nicht von einer relativ unbedeutenden Zahl von Anti-Impf-Aktivisten, sondern von einer viel größeren Gruppe von Menschen, die verständliche Zweifel oder auch berechtigte Fragen haben. Es ist mehr als ein allgemeines mangelndes Vertrauen in die Wissenschaft oder in den Hausarzt. Die Skepsis gegenüber den Impfstoffen erklärt sich zum großen Teil aus dem Misstrauen gegenüber einer Pharmaindustrie, deren oberste Priorität der Profit ist. Die Geheimhaltungspolitik, mit der die Europäische Kommission Multi-Milliarden-Dollar-Verträge mit diesen multinationalen Pharmaunternehmen betreibt, ist daher nicht vertrauensfördernd. Sogar Informationen, die nichts mit dem Geschäftsgeheimnis zu tun haben (z.B. der Preis), werden hartnäckig vor der Öffentlichkeit verborgen. Doch wenn Millionen von Menschen geimpft werden müssen, ist Vertrauen oberstes Gebot. Den Impfstoff unter öffentliche Kontrolle zu stellen und deutlich zu machen, dass niemand daraus Profit ziehen wird, kann helfen, Vertrauen aufzubauen.
Europäische Kommission auf dem Rückzug
Das Versprechen von Ursula Von der Leyen vom April war zentral. Im Anschluss daran hat die Europäische Kommission das Versprechen jedoch nicht eingehalten. Im Juni versäumte sie es, dies in ihrer Europäischen Strategie für Impfstoffe zu erwähnen. In Folge dessen hat die Kommission ihr Engagement für internationale Initiativen, die auf die gemeinsame Nutzung von Gesundheitstechnologien auf globaler Ebene abzielen, systematisch eingeschränkt. Beispielsweise wollte sie den Covid-19 Technology Access Panel (C-TAP, eine Initiative der Weltgesundheitsorganisation zum Austausch von Behandlungen, Impfstoffen, Tests und anderen Technologien zur Bekämpfung von Covid-19) nicht formell unterstützen. Ihre Beteiligung an CoVax, einem weiteren internationalen Mechanismus, der eine gerechte weltweite Verteilung von Impfstoffen gewährleisten soll, wurde eingeschränkt. Stattdessen wurden bilateralen Verträgen zwischen der Europäischen Kommission und multinationalen Pharmakonzernen bevorzugt, um im Namen der Industrieländer zukünftige Vorräte anzulegen.
“Unsere Impfungen zuerst.” Im September wies Oxfam darauf hin, dass einige reiche Länder bereits mehr als die Hälfte der verfügbaren Impfstoffe gekauft hätten. Fast zwei Drittel der Weltbevölkerung müsste bis mindestens 2022 warten, bevor sie von einem Impfstoff auch nur träumen könnten, und im Oktober antwortete die Kommission recht zynisch, dass ihre Zusage vom April keinen rechtlichen Wert habe. Mit anderen Worten, die Solidaritätsversprechen waren hauptsächlich Augenwischerei. Als eine Koalition von 100 Ländern, angeführt von Südafrika und Indien, vorschlug, die Patente auf den Impfstoff auszusetzen, ging die Europäische Kommission sogar noch weiter. Zusammen mit den Vereinigten Staaten, der Schweiz und mehreren anderen Ländern, in denen die großen Pharmamultis ihren Hauptsitz haben, blockierte sie die Initiative bei der Welthandelsorganisation. Eine Ohrfeige für alle, die für einen universellen und allen zugänglichen Schutz vor Covid-19 auftreten.
Dies ist zweifellos der Grund, warum die Bürgerinnen und Bürger aus rund zehn europäischen Ländern am 30. November 2020 eine Europäische Bürgerinitiative gestartet haben. Angesichts des Einflusses der multinationalen Pharma-Lobby auf europäischer Ebene ist diese Initiative mehr als willkommen. Um die Europäische Kommission zum Handeln zu zwingen, muss diese Bürgerinitiative eine Million Unterschriften in ganz Europa sammeln. Die Initiative soll sicherstellen, dass Pandemie-Impfstoffe und -Behandlungen als globales öffentliches Gut anerkannt werden, welches das für alle frei zugänglich ist, ohne dass diese Zugänglichkeit durch Patente behindert wird. Auf diese Weise wollen die Bürger die Europäische Kommission verpflichten, die europäische Gesetzgebung zu ändern.
Im Europäischen Parlament habe ich die Macht der Pharma-Lobby gesehen. Das ist der Grund, weshalb diese Bürgerinitiative so wichtig ist und wir sie zu 100 % unterstützen. Angesichts der Macht der multinationalen Pharmakonzerne brauchen wir eine starke soziale Bewegung in ganz Europa. Gesundheit muss Vorrang vor den Profiten der Pharmamultis haben.
Unterzeichnen auch Sie die Europäische Bürgerinitiative 'Kein Gewinn aus der Pandemie': https://noprofitonpandemic.eu/de/