Vier Möglichkeiten, Druck auf Israel auszuüben, um den Krieg in Gaza zu beenden
Die belgische Regierung und Premierminister Alexander De Croo sprachen sich für einen dauerhaften Waffenstillstand aus. Das ist gut und zeigt, dass der Druck, den die Basis ausübt, wirksam ist. Die Regierung kann jedoch viel mehr tun, um das Töten in Gaza zu stoppen. Sie darf sich nicht mit Worten begnügen. Konkrete Maßnahmen müssen folgen.
Mittwoch, 29. November 2023
Ein vorübergehender Waffenstillstand ist gut, aber er ist höchstens ein Pflaster auf einem Holzbein. Was wir brauchen, ist ein echter Waffenstillstand. Das passiert nur, wenn wir den Druck aufrechterhalten. Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant hat bereits angekündigt, dass er mit mindestens zwei weiteren Monaten schwerer Offensiven rechnet, falls die Kämpfe wieder aufgenommen werden.
Die belgische Regierung und unser Premierminister Alexander De Croo haben sich für einen dauerhaften Waffenstillstand ausgesprochen. Das ist gut und zeigt, dass der Druck, der von unten ausgeübt wird, funktioniert. Aus diesem Grund stellen wir weiterhin vier Forderungen in den Vordergrund. Weil die belgische Regierung viel mehr tun kann, um dem Blutbad in Gaza ein Ende zu setzen. Sie sollte es nicht bei Worten belassen, sondern ihren Worten Taten folgen lassen.
1. Netanjahu vor den Internationalen Strafgerichtshof bringen
"So etwas haben wir noch nie gesehen", sagen erfahrene Rettungssanitäter. Die Situation ist nicht mit anderen Kriegen der jüngeren Vergangenheit vergleichbar. In der Ukraine machen Kinder 6 % der Opfer aus, in Syrien sind es 10 %. In Gaza sind 42 % der Opfer Kinder. Israel hat in Gaza in sechs Wochen bereits mehr Frauen und Kinder getötet als die USA im Irak nach ihrer Invasion 2003 in einem ganzen Jahr. Die Zahl der getöteten Zivilisten ist vergleichbar mit der Zahl der Zivilisten, die von den USA und ihren Verbündeten in Afghanistan in 20 Jahren getötet wurden.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Forderungen lauter werden, den israelischen Premierminister Netanjahu vor Gericht zu stellen. Dies ist möglich, weil vor 20 Jahren in Den Haag ein Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) eingerichtet wurde. Inzwischen sind ihm 116 Staaten angeschlossen. Er wurde eingerichtet, um über Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu urteilen.
Nur ... wie z. B. die USA erkennt Israel den Strafgerichtshof nicht an. Im Gegensatz zu Palästina. Der Gerichtshof ist daher der Ansicht, dass er über Verbrechen urteilen kann, die von Israelis auf palästinensischem Gebiet begangen wurden. Daher wurde bereits 2021 eine Untersuchung der von Israel in Palästina begangenen Verbrechen eingeleitet, trotz des Widerstands Israels und der USA.
Im vergangenen Monat besuchte Karim Khan, der Ankläger des Strafgerichtshofs, den Grenzübergang zwischen Ägypten und dem Gazastreifen. Er erklärte, dass die aktuellen Angriffe in die Untersuchung einbezogen würden. Es ist daher durchaus möglich, dass ein Haftbefehl gegen Premierminister Netanjahu und andere führende israelische Politiker ausgestellt wird. Dafür sind zwei weitere Elemente erforderlich, und Belgien kann bei der Zusammenstellung dieser Elemente hilfreich sein.
Zunächst einmal braucht man Mittel. Der Internationale Strafgerichtshof ist vollständig davon abhängig, was seine Mitgliedstaaten ihm an Geld, Mitteln, Personal, Informationen usw. zur Verfügung stellen. Belgien hat ihm bereits 5 Millionen Euro zugesagt. Das ist ein guter Anfang.
Der politische Druck ist jedoch mindestens genauso wichtig wie die Mittel. Wie schnell der Gerichtshof Beschwerden bearbeitet, hängt stark davon ab, ob die Mitgliedstaaten Druck ausüben, um einen Fall vorrangig zu behandeln. Hierfür gibt es sogar ein formelles Verfahren: die Mitgliedstaaten können auf einen bestimmten Fall "verweisen", um den Ermittlungen Vorrang zu geben und möglicherweise einen Haftbefehl auszustellen. Anfang November taten dies fünf Länder: Bolivien, Südafrika, Bangladesch, die Komoren und Dschibuti. Das ist jedoch eindeutig nicht ausreichend. Bisher hat der Strafgerichtshof die Füße stillgehalten, um konkrete Maßnahmen gegen Benjamin Netanjahu und seine Regierung zu ergreifen.
Vergleichen wir diese Situation mit den Ereignissen, als Russland in die Ukraine einmarschierte. Zwei Tage später hatten bereits 39 Länder diese "Rückführung" nach Den Haag vorgenommen. Darunter befanden sich Belgien sowie die meisten anderen westeuropäischen Länder. Der Staatsanwalt des Strafgerichtshofs verfasste daraufhin die Anklageschrift gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Ein Jahr später lag ein Haftbefehl bereit.
Netanjahu gibt allen Grund, vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt zu werden. Mehrere Menschenrechtsorganisationen haben dies bereits bestätigt. Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen sprechen von einem "Völkermord in Vorbereitung". Sie beziehen sich auf die Erklärungen mehrerer Mitglieder der israelischen Regierung, die auf eine echte Absicht zur Ausrottung des palästinensischen Volkes und den Einsatz extrem schwerer Waffen hindeuten, die wahllos die Infrastruktur in Gaza zerstört und Tausende von Opfern gefordert haben. Worauf wartet Belgien also, um diese Forderung mit seinem ganzen Gewicht zu unterstützen?
2. die Aussetzung des Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union und Israel
Israel nimmt an europäischen Fußballwettbewerben, dem Eurovision Song Contest... teil. Das wussten Sie bereits. Aber wussten Sie, dass Europa das Land auch als privilegierten Partner betrachtet, der eine bevorzugte Behandlung verdient? Diese Tatsache wurde in einem Assoziierungsabkommen zwischen Israel und der Europäischen Union formalisiert, das im Jahr 2000 in Kraft trat, obwohl Israel zu diesem Zeitpunkt bereits dutzende Male in Resolutionen der Vereinten Nationen verurteilt worden war.
Das Assoziierungsabkommen ist ein Rahmenabkommen, das Israel bestimmte Privilegien einräumt, die andere Länder nicht haben und die in mehreren anderen Abkommen festgelegt sind. So gibt es zum Beispiel ein Abkommen über eine Freihandelszone, damit verschiedene israelische Produkte und Dienstleistungen auf dem europäischen Markt einfach und günstig verkauft werden können. Dazu gehören High-Tech-Produkte wie Software ebenso wie Medikamente, Obst und Gemüse, Diamanten und militärische Ausrüstung. Darüber hinaus ist Europa Israels wichtigster Handelspartner.
Es gibt eine Vereinbarung, die sicherstellt, dass für Israel zugelassene pharmazeutische Produkte auch sofort für unseren Markt zugelassen werden. Dies verschafft einem israelischen Unternehmen wie TEVA, das Generika vermarktet, natürlich einen enormen Vorteil. Es muss seine Medikamente nicht mehr testen und zertifizieren lassen, bevor es sie auf dem europäischen Markt verkaufen kann, im Gegensatz zu seinen chinesischen oder indischen Konkurrenten.
Es gibt auch einen "Open Skies"-Vertrag, der israelischen Fluggesellschaften einen leichten Zugang zum europäischen Luftraum und zu europäischen Flughäfen ermöglicht. In der Praxis betrifft dies vor allem die nationale Fluggesellschaft El Al, die in Europa praktisch die gleichen Rechte wie eine europäische Fluggesellschaft besitzt.
Die Kirsche auf der Torte: Israel hat auch Zugang zu verschiedenen europäischen Forschungsfonds. Israelische Unternehmen und Forschungseinrichtungen haben ebenso wie ihre europäischen Kollegen Anspruch auf diese Zuschüsse. Dies erklärt auch, warum europäische Universitäten so bereitwillig mit israelischen Unternehmen und Forschungszentren zusammenarbeiten.
Israel ist nicht das einzige Land, mit dem Europa ein solches Assoziierungsabkommen geschlossen hat. Europa hat einen ähnlichen Vertrag mit einer Reihe anderer Länder im Mittelmeerraum unterzeichnet: Marokko, Tunesien, Algerien, Ägypten und Libanon. Die Europäische Union stellt dies in den Rahmen der Politik der "Europäischen Nachbarschaft".
Das Abkommen mit Israel ist jedoch sehr umfassend und gewährt Privilegien, die andere Länder nicht haben. Es gibt nur wenige Länder, mit denen Europa ein Abkommen geschlossen hat über die gegenseitige Zertifizierung so wie für pharmazeutische Produkte. Und die Länder, die Zugang zu den europäischen Forschungsbudgets haben, sind nicht sehr zahlreich. Es wäre daher nur logisch, als Strafmaßnahme zunächst diese Privilegien abzuschaffen.
Das Assoziierungsabkommen legt sogar ausdrücklich fest (Artikel 79), dass Europa den Vertrag aussetzen kann, wenn Israel seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Und laut Artikel 2 ist die Achtung der Menschenrechte eben ein Prinzip, auf dem alle Bestimmungen des Abkommens beruhen müssen. Dennoch hat unsere Regierung bisher keine Schritte unternommen, um dieses EU-Abkommen auszusetzen.
Die Tatsache, dass das Assoziierungsabkommen nur auf europäischer Ebene ausgesetzt werden kann, sollte uns nicht davon abhalten, diese Forderung auf die Tagesordnung zu setzen. Im Gegenteil: Belgien befindet sich heute in einer idealen Position, um dies zu tun, da es von Januar bis Juni 2024 den Vorsitz des Europäischen Rates inne haben wird.
Darüber hinaus wird die Aussetzung des Abkommens seit Jahren von palästinensischen und europäischen NGOs und Gewerkschaften gefordert. Bereits vor drei Jahren empfahl der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Israel und Palästina die Aussetzung des Abkommens durch Europa.
3. die Verhängung eines Militärembargos gegen Israel
Israel verfügt über eine der stärksten Armeen der Welt. Im vergangenen Jahr gab das Land 23,4 Milliarden US-Dollar für seine Waffen und seine Armee aus. Damit steht es auf Platz 15 der Liste der Länder, die am meisten für Rüstung ausgeben. Gemessen an der Größe seiner Wirtschaft mit fast 5 % des Bruttoinlandsprodukts liegt es sogar über den USA und knapp hinter den Golfstaaten und der Ukraine.
Das Land verfügt sogar über eine bedeutende Militärindustrie, die eng mit dem Staat verbunden ist. Die lokale Waffenproduktion liegt hauptsächlich in den Händen von sechs Unternehmen, von denen sich die Hälfte in staatlichem Besitz befindet. Es wird sogar von einer permanenten Kriegsindustrie gesprochen. Obwohl sie hauptsächlich zur Versorgung der eigenen Armee gegründet wurde, werden 70 % der Produktion exportiert. Dennoch importiert das Land auch Waffen bzw. Teile von Waffen, hauptsächlich aus den USA und Deutschland.
Auch unser Land spielt eine Rolle. Laut Vredesactie legen die Flugzeuge der israelischen Fluggesellschaft El Al, die zwischen den USA und Israel pendeln, zum Tanken einen Zwischenstopp in Belgien ein. Die Fracht dieser Flüge umfasst regelmäßig auch militärische Ausrüstung. Dasselbe gilt für den Hafen von Antwerpen. Schiffe der israelischen Reederei ZIM, die mit der israelischen Regierung einen Vertrag über militärische Logistik abgeschlossen hat, fahren dort jede Woche durch. In der Vergangenheit wurde auch festgestellt, dass diese Schiffe regelmäßig militärische Fracht transportierten.
Transportgewerkschaften auf der ganzen Welt haben sich bereits gegen den Waffentransit nach Israel ausgesprochen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter wollen einfach nicht zu Komplizen von Kriegsverbrechen werden. Und sie haben vollkommen Recht. Internationale NGOs und Menschenrechtsorganisationen befürworten seit Jahren ein militärisches Embargo gegen Israel.
Dies ist nicht überraschend. In jener Zeit war auch Südafrika ein Apartheidsystem. Im Jahr 1977 verhängten die Vereinten Nationen sogar ein Waffenembargo gegen Südafrika von alle anderen Mitgliedstaaten. Der Sicherheitsrat untersagte ihnen, "Südafrika mit Waffen und damit verbundenem Gerät jeder Art zu beliefern und insbesondere Waffen, Munition, Fahrzeuge, militärische und paramilitärische Ausrüstung für die Polizei sowie Ersatzteile für die oben genannte Ausrüstung an Südafrika zu verkaufen und zu versenden."
Auch wenn ein Eingreifen der Vereinten Nationen noch kein Thema ist, kann Belgien etwas tun. Für den Transport von Kriegswaffen und Munition ist eine Genehmigung des Bundes erforderlich. Artikel 6 des UN-Vertrags über den Waffenhandel besagt, dass Staaten den Transfer von Waffen nicht genehmigen dürfen, wenn diese zur Begehung von Kriegsverbrechen und Angriffen auf Zivilisten verwendet werden. Unser Land hat also allen Grund, diese Genehmigungen abzulehnen, sobald Israel das Zielland ist.
Als unser Generalsekretär und Bundestagsabgeordneter Peter Mertens am 23. November 2023 in der Kammer Minister Pierre-Yves Dermagne (PS) zu diesem Thema befragte, antwortete der Wirtschaftsminister ausweichend. Zum einen bestätigte er, dass sein Ministerium Genehmigungen für die Durchfuhr von Munition durch unser Land ausstellt. Schließlich ist sein Ministerium für ihre Lagerung und ihren Transport auf unserem Staatsgebiet zuständig. Andererseits erklärte er auch, dass die Regionen für ihren endgültigen Export nach Israel verantwortlich seien. Kurz gesagt: Sowohl die Föderalregierung als auch die Regionen sind zuständig. Es reicht jedoch aus, dass die Bundesregierung den Transport von Munition nach Israel verweigert, um diesen Handel vollständig zu verbieten. Als Russland 2022 in die Ukraine einmarschierte, war das kein Problem und es wurde in kürzester Zeit ein Militärembargo verhängt.
Eine zweite Form des Militärembargos betrifft die Forschung und Entwicklung. Mehrere unserer Universitäten beteiligen sich an Forschungsprogrammen mit israelischen Partnern, oft mit Hilfe von EU-Fördermitteln. Die Website www.stopwapenhandel.org hat sie alle aufgelistet. Diese Programme müssen gestoppt werden. Akademiker und Studentenorganisationen, darunter Comac, setzen sich bereits an ihren Universitäten dafür ein. Die zuständigen Minister können auch Initiativen ergreifen, um diese Programme auszusetzen.
Darüber hinaus haben die großen israelischen Waffenhersteller wie Elbit Systems und Israel Aerospace Industries (IAI) Tochtergesellschaften, Zulieferer oder Partner in unserem Land. Diesen Monat führte eine Gruppe von Jugendlichen eine Aktion vor den Toren von OIP durch, einem Unternehmen in Oudenaarde, das zur Elbit-Gruppe gehört. OIP stellt unter anderem Nachtsichtgeräte für Maschinengewehre her. Ein weiteres Beispiel ist Belgium Advanced Technology Systems (BATS), das in Zusammenarbeit mit IAI elektronische Komponenten für die Erkennung von Drohnen entwickelt.
Die belgische Regierung sollte auch prüfen, welche Maßnahmen sie ergreifen kann, um sicherzustellen, dass belgische Unternehmen wie OIP nicht zu Kriegsverbrechen beitragen, die in Palästina begangen werden. Dies betrifft nicht nur Tochterunternehmen israelischer Firmen wie OIP, sondern auch alle belgischen Unternehmen, die Material oder Technologien für militärische Zwecke herstellen.
4. den belgischen Botschafter in Israel abberufen
Die Länder unterhalten über Botschaften diplomatische Beziehungen zueinander. Diese Beziehungen werden auch durch internationale Abkommen geregelt. Im Grunde ist es eine gute Sache, dass es diese Kommunikationskanäle und Vereinbarungen gibt, sogar zwischen Kriegsparteien. Wie wäre es sonst möglich, über den Austausch von Gefangenen zu verhandeln oder Friedensverhandlungen vorzubereiten?
Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen ist daher eine Maßnahme von großer Tragweite. Nur zwei Staaten, Bolivien und Belize, haben ihre Beziehungen zu Israel abgebrochen. So weit müsste unsere Regierung gar nicht gehen. In der Diplomatie gibt es andere Möglichkeiten, seine Unzufriedenheit auszudrücken. Der erste Schritt besteht oft darin, seine Botschafterin oder seinen Botschafter zurückzurufen. Damit sendet ein Land ein starkes Signal, ohne gleich alle Brücken einzureißen. Chile, Kolumbien, Honduras, Bahrain, Jordanien, die Türkei, der Tschad und Südafrika haben ihre Botschafter aus Tel Aviv abberufen. Es gibt keinen Grund, warum unser Land nicht ihrem Beispiel folgen sollte.
Als unser Premierminister und sein spanischer Amtskollege unter dem Druck der öffentlichen Meinung einen Waffenstillstand und die Einhaltung des Kriegsrechts forderten, bestellte die israelische Regierung die Botschafter von Belgien und Spanien ein. Es ist eine verkehrte Welt. Der spanische Premierminister besaß die Frechheit, den israelischen Botschafter in Madrid einzubestellen, während De Croo es vorsichtigerweise bei einer Einladung zum Kaffee beließ. Auch auf der diplomatischen Bühne täte unser Land also gut daran, einen Gang höher zu schalten.