Hohe Zinsen: die Zentralbanken wälzen die Last der Krise auf die Bürgerinnen und Bürger ab

Analyse
Author
Ben Van Duppen
PTB-PVDA

Nach den wirtschaftlichen Einbußen infolge der Corona-Pandemie und den Auswirkungen der hohen Energiepreise erschüttert ein neuer Rückschlag die Wirtschaft: Die Zinsen steigen wieder. Zentralbanken auf der ganzen Welt versuchen, die Inflation durch bedeutende Zinssatzerhöhungen in den Griff zu bekommen. Ein Mittel, das mit der Finanzpolitik der jüngeren Vergangenheit bricht. Noch sind die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft nicht abzusehen. Doch es ist klar, dass die Zentralbanken und Regierungen so die Folgen der Inflation auf die Bürgerinnen und Bürger abwälzen. Was geschieht gerade? Und wie können wir verhindern, dass wir schon wieder für eine Krise zur Kasse gebeten werden?

Alle, die gerade eine neue Wohnung suchen oder ein Auto kaufen wollen, haben es bereits bemerkt: Kredite sind sehr teuer geworden. Die Zeit der niedrigen Zinsen und günstigen Darlehen ist vorbei. Noch vor einem Jahr konnte man mit etwas Glück Hypothekendarlehen für etwa 1 % ergattern, heute kann man sich glücklich schätzen, wenn die Zinnsätze nur drei- bis viermal so hoch sind.

Junge Paare, die auf der Suche nach ihrem ersten eigenen Zuhause sind, bleiben angesichts der nach wie vor sehr hohen Immobilienpreise auf der Strecke. Dementsprechend beläuft sich die Anzahl an neuen Hypothekendarlehen seit Anfang des Jahres nur knapp auf die Hälfte der Abschlüsse in derselben Zeitspanne in den vergangenen Jahren. Der plötzliche Anstieg der Zinssätze kommt nicht von ungefähr, sondern ist das direkte Ergebnis der aktiven Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB).

Seit ihrer Gründung hat die EZB ihre Zinssätze noch nie so schnell erhöht wie in den letzten acht Monaten. Im Juli 2022 lag ihr Zinssatz für Einlagen noch bei -0,5 %: Wenn Banken Kapital bei ihr deponierten, mussten sie 0,5 % Strafzinsen zahlen. Dafür konnten sie sich zinsfrei Geld leihen.

Ihre außergewöhnliche Maßnahme soll möglichst viel Kapital in die Wirtschaft fließen lassen, um ihr nach den Schließungen während der Corona-Krise zu neuem Aufschwung zu verhelfen. Innerhalb weniger Monate hat die EZB ihre Zinssätze wiederholt und schnell angehoben. Die Banken erhalten nun 3 % Zinsen pro Jahr auf bei der EZB deponiertes Kapital; Kredite werden hingegen mit 3,5 % verzinst.

Die Höhe der Zinssätze bestimmt nicht etwa ein Naturgesetz, sondern die Entscheidung des – nicht gewählten – Direktoriums des EZB-Rats. Das Direktorium trifft sich alle sechs Wochen und hat vor kurzem die höchsten Zinssätze in der Geschichte der EZB beschlossen. Die Präsidentin der EZB, Christine Lagarde, kündigte zudem an, dass sie in naher Zukunft weitere Erhöhungen plane und nicht vorhabe, die Zinssätze wieder sinken zu lassen.

Hohe Zinssätze lassen den Normalbürger für die Inflation zahlen

Die hohen Zinsen auf Verbraucherhypotheken sind im Grunde nur ein Nebeneffekt der Entscheidung der EZB, die vor allem die Inflation bekämpfen will. Doch das Instrument ihrer Wahl birgt einige Gefahren.

Die Werkzeuge der Zentralbanken gegen die Inflation folgen allesamt dem neoliberalen Dogma, dass Inflation immer und überall ein monetäres Phänomen ist, und wollen sie mit einer Art mittelalterlichem Aderlass bekämpfen.

Dementsprechend ändern Zinserhöhungen nichts am tatsächlichen Treiber der aktuellen Inflation, wie allmählich auch die Finanzwirtschaftspresse und die EZB einsehen müssen. Dabei ist Inflation im Moment vor allem den Überprofiten einer kleinen Gruppe von Unternehmen in Monopolposition geschuldet, die von der vorübergehenden Verknappung profitiert und ihre Preise (und damit auch ihren Gewinn) erhöht haben.

»Offenbar können viele Unternehmen ihre Gewinnmargen erhöhen, ohne dabei nennenswerte Marktanteile zu verlieren (...). Die gestiegenene Rohmaterialpreise und Energiekosten bieten eine gute Gelegenheit für die Teuerungen«, schreibt die belgische Börsentageszeitung De Tijd. Die Gewinnmargen der Unternehmen in der Eurozone sind im Vergleich zu den Jahren vor der Corona-Krise um 25 % gestiegen.

Doch das lässt die EZB völlig außer Acht. Sie will stattdessen die Zinssätze weiter anheben, bis sich der Arbeitsmarkt »abkühlt«. Im Wirtschaftsjargon bedeutet dies, dass die aktuelle geringe Arbeitslosigkeitsquote dazu führe, dass »die Arbeitnehmer auf einem angespannten Arbeitsmarkt [zu] stark auf höhere Löhne drängen« könnten. In den Augen dieser Bankdirektoren haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer also anscheinend ein zu hohes Einkommen, was zu einer höheren Nachfrage führt, die die Preise und damit die Inflation in die Höhe treibt.

Die Erhöhung der Zinssätze soll dazu führen, dass Unternehmen weniger Investitionskredite aufnehmen und die Wirtschaft sich verlangsamt. Infolgedessen wird es weniger neue Arbeitsplätze geben, Entlassungen hageln und ein wirtschaftliches Umfeld geschaffen, in dem sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mehr trauen, sich für eine Anpassung ihrer Löhne an die gestiegenen Lebenskosten starkzumachen. Ihre perverse Maßnahme hat nur ein Ziel: Sie soll die Last der Inflation auf die arbeitende Klasse abwälzen.

Belgische Banken verbuchen Rekordgewinne von € 7 Milliarden

Auch viele mittelständische Geschäftsbanken profitieren von der neuen Hochzinspolitik. Aber auf unseren privaten Sparkonten steigt der Zinssatz nicht im gleichen Maße. Ein Umstand, den auch die Belgische Nationalbank als inakzeptabel bezeichnete. Die Banken erhalten heute zwar 3 % Zinsen von der EZB, geben aber nur einen Bruchteil davon an Privatpersonen weiter. Der Zinssatz für ein normales Sparkonto liegt heute zwischen 0,5 % und 1 %. Daher ist es wohl kaum verwunderlich, dass die großen belgischen Banken 2022 Gewinne von über sieben Milliarden Euro eingefahren haben.

Die Folgen der rabiaten Zinserhöhungen durch die Zentralbanken zeigen sich auch auf einer anderen Ebene: Sie haben einen Zinsschock ausgelöst, unter dem das kapitalistische Weltwirtschaftssystem erbebt und dessen Folgen wir noch nicht abschätzen können. Denn dieses System trägt die bereits Narben vergangener Schocks in sich.

Zum Beispiel die Spuren der wirtschaftlichen Nachwirkungen der Schließungen während der Corona-Krise und der darauffolgenden sehr schnellen Wiedereröffnung. Innerhalb weniger Wochen kam fast die gesamte Weltwirtschaft zum Erliegen, um nur kurz darauf überall auf der Welt gleichzeitig und so schnell wie möglich wieder den Betrieb aufzunehmen. Dies löste einen weiteren Wirtschaftsschock aus: Die Energiepreise explodierten.

Das wiederum führte zu allgemeinen Teuerungen, was einerseits den Verlust der Kaufkraft der arbeitenden Klasse und andererseits enorme Übergewinne einiger multinationaler Konzerne mit sich brachte – worauf das Finanzestablishment an der Spitze der Zentralbanken nun mit bedeutenden Zinserhöhungen reagiert.

Die Reaktion der EZB unterscheidet sich grundlegend von der Geldpolitik, die sie in den letzten 15 Jahren betrieben hat. Seit 2008 hatte sie die Zinssätze schrittweise gesenkt. Der damalige EZB-Präsident Mario Draghi lancierte 2015 ein Programm zur Injektion von mehreren Billionen Euro sogenannten »kostenlosen Geldes« (Quantitative Easing) in die Wirtschaft.

Während der Corona-Krise wurden in Europa und in den USA ähnliche Geldhähne mit kostenlosem Geld aufgedreht. Alle Maßnahmen zielten ausnahmslos darauf ab, die Wirtschaft anzukurbeln, hatten aber in Wirklichkeit nur geringe Auswirkungen. Das Geld landete vor allem bei einer kleinen Gruppe wohlhabender Aktionäre, deren Aktienkurse in die Höhe schnellten.

Nun zeigen sich allmählich die Folgen dieser Finanzpolitik

Die niedrigen Zinssätze und das fast kostenlose Geld haben in der gesamten Weltwirtschaft ihre Spuren hinterlassen. Regierungen, Unternehmen und Familien haben sich in den 15 Jahren der billigen Kredite hoch verschuldet. Allein während der Corona-Krise wurden weltweit zusätzlich Schulden in Höhe von 45 Billionen US-Dollar aufgenommen. Doch aufgrund der steigenden Zinsen wird es immer teurer, diese Schuldenberge zu bedienen. Wenn früher ein Kredit auslief, konnte er in der Regel durch einen neuen Kredit refinanziert werden, aber neue Kredite sind viel teurer geworden.

Die Länder des Globalen Südens, die ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen können, sind die ersten, die unter dieser Last zusammenbrechen. Wie Sri Lanka, das im Mai letzten Jahres für bankrott erklärt wurde. Doch das ist kein Einzelfall. Aufgrund der gestiegenen Zinssätze zahlen Entwicklungsländer heute mehr für Kreditzinsen, als sie für die Gesundheitsversorgung ausgeben.

In der Europäischen Union wird wieder über die Höhe der Staatsverschuldung der Mitgliedsstaaten diskutiert. Die Europäische Kommission hat die Regierungen zu Einsparungen verpflichtet, damit sie ihre Schulden begleichen können. Je höher die Zinssätze steigen, desto mehr werden wir unter neuen Sparmaßnahmen leiden müssen.

Die zusätzlichen Kosten, die Belgien jährlich für seine Staatsverschuldung zahlen muss, sind in den letzten fünf Jahren von acht auf zehn Milliarden Euro angewachsen. Allmählich wird über eine Rückkehr zur Austeritätspolitik der 1980er und 2010er Jahre gesprochen.

Die Gratisgeld-Spekulanten lassen unsere Energierechnungen steigen

Nicht nur die niedrigen Zinssätze haben Spuren hinterlassen, auch das kostenlose Geld hat die Finanzwelt verändert. Denn der Großteil dieser leicht zugänglichen Gelder wurde nicht wirklich produktiv gemacht und in die Realwirtschaft investiert, sondern ermöglichte Investmentfonds Spekulationen in großem Stil.

Somit förderte das kostenlose Geld auch Spekulationen auf die Energiepreise. Während der Corona-Krise haben einige Händler mit dem richtigen Riecher die gesamten Gaslieferverträge aufgekauft. Zu dieser Zeit, als ein Großteil der Weltwirtschaft stillstand und auch die Nachfrage nach Gas stagnierte, freuten sich die Gasunternehmen über die Abnehmer. Als die Wirtschaft nach den Schließungen wieder anlief und die Nachfrage nach Gas wieder stieg, konnten diese Spekulanten ihre Verträge mit großen Gewinnen weiterverkaufen. Dadurch sind die Gaspreise noch weiter gestiegen.

Diese verschiedene Faktoren tragen dazu bei, dass unsere Energiekosten explodieren. Zudem hat die lockere Geldpolitik in all den Jahren ironischerweise gleichzeitig die Inflation befeuert, die die Zentralbanken nun mit ihrer neuen Finanzpolitik eindämmen will.

Ein weiteres beliebtes Spekulationsfeld waren (und sind) Technologieunternehmen. Im Silicon Valley galt jahrelang: »The sky is the limit.« Ein Technologie-Start-Up nach dem anderen wurde von Risikokapitalgebern mit Finanzspritzen aufgepumpt – mit Geldern, die sie sich fast kostenlos leihen konnten. Sobald ein derartig schnell wachsendes Start-Up an die Börse ging, kassierten die Risikokapitalgeber dank der hohen Börsenkurse des neuen Unternehmens ihren Gewinn.

Auch normale Unternehmen nutzten die Gelegenheit, um mithilfe der sehr billigen Kredite ihre eigenen Aktien aufzukaufen. Das war ein Geschenk an die Aktionäre: Die Unternehmen kauften ihre eigenen Aktien zu viel höheren Preisen zurück als ursprünglich ausgegeben, und verteilten die Dividenden danach entsprechend auf eine geringere Anzahl an Aktien. Auf diese Weise trieben die leicht verfügbaren Gelder die Börsenkurse jahrelang nach oben.

Seit die Zentralbanken diese Finanzpolitik gestoppt haben, befinden sich die Aktienkurse einiger US-amerikanischer Technologieunternehmen im freien Fall. Innerhalb von anderthalb Jahren hat sich der Wert der amerikanischen Technologiebörse NASDAQ um ein Drittel verringert.

Die Quelle des kostenlosen Geldes ist versiegt

Seit einigen Monaten entlassen ebendiese Technologieunternehmen massenhaft Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Finanzmittel der Risikokapitalgeber sind ausgeschöpft – sie haben kein kostenloses Geld mehr. Es wurden bereits über 300 000 Arbeitsplätze abgebaut, um die Unternehmen profitabler zu machen." Die Struktur dieser Branche hat sich so stark auf dieses kostenlose Geld verlassen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass einige Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit einstellen werden müssen. Aber davor werden sie verssuchen, wie wir sehen, die Verluste auf ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abwälzen.

Noch zeigen sich die Konsequenzen der lockeren Gelpolitik auf das Finanzsystem nicht eindeutig. Aber es besteht kein Zweifel daran, dass ihre Nachteile umso deutlicher werden, je höher die Zinssätze bleiben. Jahrelang haben Spekulanten mit neuen Finanzkonstruktionen, deren Ausmaße wir heute noch nicht genau nachvollziehen können, viel Geld verdient.

Im September 2022 musste in Großbritannien der Finanzmarkt für Staatsanleihen von der Bank of England gerettet werden. Im März 2023 musste die US-Regierung erneut eingreifen und stellte 300 Milliarden Dollar zur Verfügung, um den zweit- und drittgrößten Bankencrash in der Geschichte der USA zu vermeiden. Doch dieser Schritt brachte das gesamte Finanzsystem in Aufruhr – denn er bewies, dass es kein Risiko mehr gibt, wenn man nur genug Geld hat. Dieser Logik nach kommt dir die Regierung zur Hilfe, wenn du zu hohe Risiken eingegangen bist – vorausgesetzt, du hast genug Geld verwettet. Der US-Senator Bernie Sanders bezeichnete diese Finanzpolitik als »Sozialismus für die Reichen«.

Wieder einmal will das Establishment die arbeitende Klasse für ihr Versagen zur Kasse bitten

Nach fünfzehn Jahren laxer Geldpolitik soll der Gürtel nun umso schneller enger geschnallt werden. Die Sektoren, die sich von diesem billigen Geld abhängig gemacht haben, müssen sich nun einer Weltwirtschaft stellen, in der die Dinge anders laufen. Sie müssen sich neue Geldquellen erschließen, um ihre Gewinne aufrechtzuerhalten. Daher setzen sie die Stellschrauben dort an, wo in der Wirtschaft tatsächliche Werte geschaffen werden: bei der arbeitenden Klasse.

Auch der Kampf, der gerade bei der belgischen Lebensmittelkette Delhaize tobt, hängt mit all dem zusammen. Die Anteilseigner von den Mutterkonzern Ahold Delhaize sind große Investmentfonds, die jahrelang vom starken Anstieg der Börsenkurse profitiert haben, da das Unternehmen Milliarden eigener Aktien zurückgekauft hatte. Heutzutage ist diese Praxis in den Augen von Großaktionären Standard, aber da das dafür notwendige Kapital nun weniger leicht verfügbar ist, müssen die Arbeiterinnen und Arbeiter von Delhaize die Rechnung bezahlen. Das Unternehmen will eine Milliarde Euro einsparen … für den Rückkauf der eigenen Aktien. Dazu will das Management die Geschäfte mitsamt Personal und allem Drum und Dran an unabhängige Betreiber verkaufen – auf Kosten der Löhne und Arbeitsbedingungen der 9 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Delhaize.

Es wäre leichter, Druck auf die Gehälter von Franchise-Beschäftigten auszuüben, als auf die gut organisierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Delhaize. Delhaize würde längerfristig viel Geld sparen. Aber die Beschäftigten geben nicht auf und haben das Unternehmen wegen dieser Pläne verklagt.

Zugleich bürdet uns das Establishment die Kosten der Krise auch indirekt auf. Während der Corona-Krise haben sich die europäischen Länder massiv verschuldet, um ihre Nationalwirtschaften über Wasser zu halten, und haben verschiedene Werkzeuge zur Unterstützung von Unternehmen eingeführt. Das hat diesen Unternehmen Rekordgewinne beschert.

Doch jetzt, nachdem die Krise vorbei ist, werden wieder Forderungen nach einer europäischen Sparpolitik laut. Der Schuldenberg soll so schnell wie möglich abbezahlt werden. Die Europäische Kommission macht sogar die Auszahlung der Konjunkturgelder, die für Projekte zur Ankurbelung der Wirtschaft bestimmt sind, von der Umsetzung von Steuerreformen abhängig, wie z. B. den Rentenkürzungen, die die belgische Regierung gerade vorgenommen hat.

Die bisherigen Kürzungen reichen den Liberalen und rechten Nationalisten noch lange nicht... Sie reden von »Verschuldung«, »außer Kontrolle geratenem Haushalt« und »Währungsdisziplin«. Allesamt Begriffe, die die Menschen auf noch größere Kürzungen der Renten, Sozialversicherungsleistungen, öffentlichen Dienstleistungen und von vielem mehr vorbereiten sollen. Es ist die gleiche Sprache, die nach der Krise von 2008 verwendet wurde. Die Rechte will diese Politik weiter ausbauen und nutzt die Schulden als Vorwand, um in Zeiten hoher Zinsen soziale Rechte abzubauen.

Wie kann man diese neue, gefährliche Krise vermeiden?

Bankencrashs, Massenentlassungen, Haushaltskürzungen und soziale Kämpfe: Das sind nur die ersten Folgen des neuen Finanzregimes der Zentralbanken, die absichtlich eine Krise provozieren. Aber ihre Methode ist noch lange nicht das einzige Mittel zur Bekämpfung der Inflation.

Stattdessen sollten wir zuerst gegen die massiven Überprofite einiger großer Unternehmen vorgehen, die von der wirtschaftlichen Lage und ihrer Machtposition profitieren: Wir müssen diese Überprofite besteuern und die Spekulation mit grundlegenden Ressourcen verbieten. Die Sektoren für Energie, Erdöl und Nahrungsmittel erzielen enorme Überprofite, was die Krise und die Inflation nur noch weiter verschärft.

Wir könnten ebenfalls die Preise für Grundnahrungsmittel einfrieren, wie verschiedene Expertinnen und Experten, wie die Wirtschaftswissenschaftlerin Isabella Weber, seit einiger Zeit vorschlagen.

Gleichzeitig müssten unsere Löhne schneller steigen als die Inflation. Auf der ganzen Welt sind Lohnerhöhungen das Thema sozialer Kämpfe. Die Lohnerhöhungen müssten einerseits mit der Inflation mithalten, andererseits auch schneller steigen als die Inflation. Denn ansonsten sind wir die Verlierer. Insbesondere in Zeiten der Inflation ist der Kampf gegen das Lohnstoppgesetz brandaktuell.

So schützen wir nicht nur unsere Kaufkraft, sondern auch unsere Ersparnisse und bremsen die fortschreitende Inflation, ohne die Zinsen zu erhöhen. Die Regierungen könnten dann neue Investitionen tätigen, statt einen Sparkurs einzuschlagen. Es ist höchste Zeit, denn die ineffiziente Geldpolitik hat uns über Jahre stagnieren lassen, so dass unsere Infrastruktur in vielen Bereichen hoffnungslos veraltet ist.

Zugleich führt uns die gegenwärtige Situation vor Augen, dass wir in einer Energiekrise den enormen Preisschwankungen des internationalen Gasmarkts ausgeliefert sind. Wir haben die Notwendigkeit von Investitionen in die Isolierung von Häusern sowie in einen effizienten und kostengünstigen öffentlichen Nahverkehr erkannt.

Das sind nur einige unerlässliche Investitionen in naher Zukunft angesichts der Herausforderungen des Klimawandels, die uns gleichzeitig vor Teuerungen und der Inflation bewahren könnten. Letzten Sommer hat Deutschland bewiesen, wie unmittelbar eine derartige Initiative Ergebnisse zeigt. Einige Monate lang war der landesweite Nahverkehr sehr günstig, wodurch die Inflation um fast 10 % sank.

Die hohe Inflation zeigt auch die dringende Notwendigkeit eines starken öffentlichen Bankensektors. Wir müssen neue Banken gründen, in denen unsere Ersparnisse sicher und vor der Inflation geschützt sind. Banken, die in die Realwirtschaft investieren und den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Regierungen Gewissheit bei ihren Investitionen in die Zukunft ermöglichen. Wir brauchen also Banken, die nicht auf Spekulationen und kurzfristige Renditen setzen, sondern auf die sich die Gesellschaft längerfristig verlassen kann.

Dafür müsste sich auch die Institution grundlegend verändern, die im Mittelpunkt dieser Entwicklungen steht: die Europäische Zentralbank. Wir können nicht länger hinnehmen, dass die wichtigste Währungsinstitution der Eurozone fast vollständig ohne demokratische Kontrolle agiert. Denn diese Institution steht an der Seite der großen Investmentgruppen – und nicht an der der Bürgerinnen und Bürger Europas. Wir brauchen eine transparente und demokratische Politik, die Mittel für die dringend notwendigen sozialen Investitionen bereitstellt.

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